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25 Januar 2018

Neophyten – Pflanzen aus der Ferne

Geschrieben von Stephan Engelhardt, Veröffentlicht in Wildkräuter, Ernährung

Bedrohung oder heilende Helfer und Nahrung

Es war ein beeindruckendes Gefühl, als ich mitten in einem Feld mit hochgewachsenen Japanischem Staudenknöterich stand. Die Pflanzen strahlten Kraft und eine unbändige Lebensfreude aus. Ein leichter Wind ließ sie, wie zu einem Tanz angeregt, schwingen. Mit beiden Händen umfasste ich ihren Stiel und hatte sofort ein Gefühl tiefer Verbundenheit, so als ob ich selber ein Knöterich bin.

Ich weiß nicht wie lange ich so dastand und es war wundervoll. Beim Gehen nahm ich einige junge Blatttriebe und aß sie genussvoll. Ihr Geschmack erinnert an Rhabarber oder Sauerampfer. Dass der Japanische Staudenknöterich europaweit zu den am stärksten bekämpften Pflanzen gehört, erfuhr ich erst später. Teilweise wird die Bevölkerung sogar aufgefordert ihn zu vernichten. Als Grund wird u.a. seine invasive Ausbreitung und das verdrängen heimischer Pflanzen genannt. Er gehört zu den sogenannten Neophyten.japanischer staudenknoeterich k1

Es begann mit Kolumbus

Als Neophyt wird eine Pflanze bezeichnet die nicht zur heimischen Flora (Pflanzenwelt) gehört. Das Wort Neophyt kommt aus dem griechischen und setzt sich aus den Silben Neos (jung, frisch) und Phyton (Pflanze) zusammen. Als Neophyten werden Pflanzen bezeichnet die seit 1492, das Jahr der Landung von Christoph Kolumbus auf den karibischen Inseln, in ein Gebiet kamen, in dem sie ursprünglich nicht vorkamen. In seinem Tagebuch schreibt Kolumbus "Meine Augen werden nicht müde, eine solch herrliche Vegetation anzusehen, die so verschieden von der unseren ist. Ich glaube, dass diese vielerlei Gräser, Kräuter und Bäume erzeugt, welche in Spanien als Färbe- oder Arzneimittel großen Wert haben würden". In dieser Zeit begann der weltweite Artentausch von Pflanzen und Tieren. Expeditionen, Missionare und andere Reisende brachten die neuen Pflanzen gewollt oder ungewollt mit nach Hause. Die europäischen Herrenhäuser präsentierten die exotischen Gewächse wie Trophäen in ihren Parks. Dort blieben die neuen Pflanzen natürlich nicht, sondern breiteten sich aus, wenn die äußeren Bedingungen stimmten. In Klostergärten wurden die Pflanzen ebenfalls gepflanzt, da man ihre Heilkraft erkannte. Karl der Große (geb. 747 in Franken) erließ ein Gesetz zum Anbau von Pflanzen in seinen kaiserlichen Hofgütern. Alle sich darunter befindlichen Heilpflanzen waren nichtheimisch und kamen aus den fernen "heiligen" Ländern. Für die Kirchen waren es die "guten" Pflanzen und wurden in den Klostergärten kultiviert. Mönche brachten viele Samen und Knollen von ihren Pilgerreisen mit. Das Volk baute die Pflanzen in ihren Bauerngärten an. Die Ausbreitung fremder Pflanzen fand also schon vor Kolumbus statt. Da die Erde von vielen Menschen bereist wird und weltweit Waren versendet werden, geht der Artentausch weiter.

Einwanderer aus Amerika und Asien

Die meisten nicht europäischen Neophyten kommen jeweils ca. zur Hälfte aus Nord- und Südamerika und Asien. Hinzu kommen Pflanzen aus Afrika, Australien und Europa. In Deutschland gibt es ca. 2300 wildwachsende höhere Pflanzenarten von denen 328 als Neophyten bezeichnet werden und ca. 30 als problematisch gelten. Sie werden aufs schärfste bekämpft. Europaweit gesehen, gehört der Japanische Staudenknöterich aus Japan, dass Beifussblättrige Traubenkraut (Ambrosia) aus Nordamerika, das indische Springkraut vom Himalaya und die Herkulesstaude oder Riesenbärenklau aus dem Kaukasus zu den "Schlimmsten". Am häufigsten treten das kanadische Berufskraut, der gemeine Stechapfel, der zurückgebogene Fuchsschwanz, das Knopfkraut (Franzosenkraut), der Topinambur, die gewöhnliche Spitzklette und die Nachtkerze auf.

Als mir klar wurde wie viele der in Deutschland registrierten Neophyten auf meinem Speiseplan stehen und wie sehr indisches springkrautich mich an ihnen erfreue, wunderte ich mich weshalb einige von ihnen als extreme Schädlinge für unsere Flora angesehen werden. Bisher hat nachweißlich kein Neophyt eine andere Pflanze so bedrängt, dass sie ausgestorben ist. Die Pflanzenbekämpfung kann sich für die Ausbreitung einer Pflanze sogar als vorteilhaft erweisen. Das indische Springkraut (ein Neophyt aus Asien schleudert seine reifen Samen bei der geringsten Berührung oder Vibration meterweit und breitet sich so aus. Wird es abgeschnitten und wegtransportiert, macht es das auf dem Weg ebenfalls. Die Blüten sind eine Augen und Gaumenfreude und die reifen Samen schmecken nussartig. Man kann sie sich direkt in den Mund springen lassen.

Der Kampf gegen die Pflanzen

Neophyten wachsen häufig an gestörten Orten mit belasteten oder überdüngten Böden, an denen heimische Pflanzen kaum noch gedeihen können. Der Japanische Staudenknöterich liebt nährstoffreiche und stickstoffhaltige Böden den anderen Pflanzen, außer z.B. Brennnesseln und Disteln, nicht gut vertragen. Außerdem braucht der Japanische Staudenknöterich einen sonnigen und eher feuchten Standort wie z.B. die Ufer von Bächen oder Flüssen, an denen ggf. die Natur durch das Roden von Bäumen und Sträuchern "aufgeräumt" wurde. Er vermehrt sich nicht mit Samen, sondern über seine Wurzelstöcke (Rhizome), die sich tief im Boden verbreiten. Kleinste Wurzelstücke können einen neuen Bestand bilden. Sein beeindruckender Wuchs (in der Hauptwachstumsphase Mai bis zu 30cm am Tag) und seine Ausbreitungsfreude führen dazu, dass er zum Problemfall ernannt wurde. Er soll Straßenbeläge durchbohren können, zur Erosion von Uferböschungen beitragen und andere Pflanzen verdrängen. Wie seltsam das er in der ehemaligen DDR zur Stabilisierung von Dämmen und Dünen eingesetzt wurde. Bekämpft wird er mit Totalherbiziden (Unkrautbekämpfungsmitteln), Infrarotbestrahlung, Dampf der in die Erde eingebracht wird und die Rhizome zerstören soll oder durch Abdecken mit schwarzer Folie. Das schweizerische Amt für Landschaft und Natur (Fachstelle Naturschutz) schreibt (Auszug): "Eine nachhaltige Beseitigung ist nur mit einer chemischen Bekämpfung über mehrere Jahre zu erreichen, erfordert Kenntnisse der Pflanze sowie des optimalen Herbizid- und Geräteeinsatzes.". Was soll auf einem solch zerstörten Boden noch wachsen? Vielleicht wieder ein kraftvoller Neophyt?
Wir können die Natur glücklicherweise nicht kontrollieren und tragen u.a. mit solchen Maßnahmen zu ihrer Störung bei. Die aus dem Gleichgewicht gebrachte Natur macht alles, um wieder ins Gleichgewicht zu gelangen. Das auffällig starke Wachstum von Pflanzen gehört möglicherweise dazu. Wie können Pflanzen als Teil des Ganzen eine Bedrohung für uns sein? Der Japanische Staudenknöterich steht uns mit seiner starken Lebenskraft helfend zur Verfügung.

Der nützliche Japanische Staudenknöterich(1)

  • In der ehemaligen DDR diente er zur Begrünung von Braunkohlehalden und zur Stabilisierung von Dämmen und Dünen.
  • Er wird zur Sanierung von überdüngten Böden, Industriegeländen und gift- oder Schwermetall verseuchten Böden eingesetzt. Er nimmt die Schadstoffe in großen Mengen aus dem Boden auf.
  • Extrakte aus dem Japanischen Staudenknöterich werden als biologischen Pflanzenschutz verwendet.
  • Der artverwandte Sachalin-Staudenknöterich wird getrocknet und zu Pellets verarbeitet. Pro Hektar ersetzt er jährlich bis zu 8000 Liter Heizöl.
  • Seine Wurzelrinde liefert einen gelben Farbstoff zum Färben von Stoffen.
  • Bienen und andere Insekten nutzen den Knöterich als Futterpflanze, vor allem im Spätherbst wenn andere Pflanzen rar werden.

Gesundheitlicher Nutzen des Japanische Staudenknöterichs(1)

Die Wurzel gilt in der modernen chinesischen Medizin als

  • antiviral
  • spirochätenwidrig
  • pilzwidrig (fungizid)
  • bronchialentspannend, schleimlösend, hustenstillend
  • blutdruck- und lipidsenkend, reduziert die Fettwerte
  • blutstillend, adstringierend
  • schmerzstillend (bei Arthritis, Rheuma, Menstruationsschmerzen)
  • entzündungshemmend
  • antibiotisch (Mikroorganismen hemmend oder diese abtötend)
  • blutreinigend, entgiftend

Die Wurzel wird als Heilmittel bei Borreliose angewendet. Das enthaltende Resveratrol und Transresveratrol soll die Durchblutung von Augen, Herz, Haut und den Gelenken verbessern und soll die Nervengewebe vor oxidativen Schäden und Endotoxinen (giftige Zerfallsprodukte von Bakterien) schützen.

Studien zu Resveratrol

Resveratrol soll krebshemmend wirken. Dem wurde laut einer Studie aus 2014 widersprochen: "Diejenigen, die viel Resveratrol zu sich genommen hatten, waren nicht gesünder als die mit wenig. Sie unterschieden sich weder in der Häufigkeit von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Entzündungen noch in ihren Sterberaten, wie die Forscher berichten. Es gebe daher keine Anzeichen dafür, dass das Resveratrol die positiven Wirkungen habe, die man ihm zuschreibe.".
Eine Studie der University of Leicester von Hong Cai aus 2015, die mit Tieren durchgeführt wurde, wirft ein anderes Licht auf das Resveratrol: "Beim Pflanzenstoff Resveratrol scheint eine niedrige Dosis besser zu wirken als eine höhere. Erhielten Mäuse nur eine geringe Menge des Antioxidans, bildeten sie weniger Darmkrebs-Tumore. Eine 200-fach höhere Dosis wirkte dagegen kaum." (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26223300).
Ich halte es für wenig sinnvoll, bei Krankheiten die Lösung des Problems an einem bestimmten Wirkstoff festzumachen. Viel besser ist es, durch eine gesunde Ernährungs- und Lebensweise Krankheiten zu vermeiden. Das schließt natürlich ein, dass wir uns von Pflanzen auch bei Krankheiten helfen lassen.

Der Japanische Staudenknöterich gehört zu den hart bekämpften Neophyten. Ist das bei seinem großen Nutzen berechtigt? Werden er und sein Wesen falsch verstanden? Er und die gesamte Natur lassen sich nicht von Menschenhand kontrollieren und das kann Ängste erzeugen. Nichts geschieht ohne Grund, auch nicht die Ausbreitung von Pflanzen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Ausbreitung von Krankheiten und heilenden Pflanzen? Wissenschaftlich gesehen nein, mit anderen Augen betrachtet möglicherweise ja.

Neophyt hilft bei Borreliose

1975 kam es in der Kleinstadt Old Lyme (USA) zu einer unerklärlichen Krankheitsserie. Die Betroffenen, neununddreißig Kinder und zwölf Erwachsene, hatten Symptome wie z.B. wandernde Hautausschläge, starke Kopfschmerzen, geschwollene Gelenke und extreme Stimmungsschwankungen. Fälschlicherweise wurde eine rheumatische Arthritis diagnostiziert. Die Krankheit wurde nach der Kleinstadt Old Lyme  "Lyme-Arthritis" benannt. Der Schweizer Bakteriologe Willy Burgdorfer, der in den USA tätig war, entdeckte zwei Jahre danach in der Lone-Star-Zecke (Amblyomma Americana) ein schraubenförmiges Bakterium (Borrelie) aus der Gruppe der Spirochäten, das den Namen "Borrelia burgdorferi" erhielt und 1982 wissenschaftlich erfasst wurde. Das Bakterium kann die Lyme-Borreliose auslösen.
Seit wenigen Jahren ist zudem wissenschaftlich erwiesen, dass der Biss der Lone-Star-Zecke zusätzlich eine Fleischallergie auslösen kann. Laut Aussage des Wissenschaftlers Scott Commins von der University of North Carolina sind für die ungewöhnlichen Folgen eines Bisses der Lone-Star-Zecke Antikörper verantwortlich, die der menschliche Organismus als Reaktion auf ein bestimmtes Zuckermolekül (Alpha-Gal-Molekül) der Zecke bildet. Dieses Molekül kommt nur in tierischen Zellen vor und ist der Grund dafür, dass die Betroffenen nach einem Biss der Zecke allergisch auf Fleischkonsum reagieren. Die allergischen Reaktionen können lebensbedrohlich sein.
Weitere Informationen:
http://www.dw.com/de/zecken-fleischallergie-alpha-gal/a-39481371
http://www.jacionline.org/article/S0091-6749%2808%2901931-3/fulltext

Pflanzen tauchen bei Krankheiten auf

Die Weberkarde und die wilde Karde gelten in den USA als aggressive Neophyten. Ihre starke Ausbreitung begann erst vor ca. 40ig Jahren, obwohl sie schon seit über 300 Jahren in den USA vorhanden ist. Auch in der Nähe von Old Lyme tauchte die Karde auf. Gibt es einen Zusammenhang zu sich ausbreitenden Krankheiten oder Störungen der Natur? Es ist müßig zu Rätzeln, ob tatsächlich Zusammenhänge bestehen. Sinnvoller erscheint es, mit offenen Sinnen zu schauen was in der Umgebung geschieht und den darin liegenden Sinn zu erkennen. karde kAuch in Deutschland war die Karde ursprünglich nicht vorhanden. Sie wurde von Tuchmachern und Tuchwalkern aus Südfrankreich eingeführt. Dort wird sie seit der Antike zur Entgiftung der Körpers verwendet. Wolf Dieter Storl berichtet in seinem Buch "Borreliose natürlich heilen" (2) von der Entdeckung des amerikanischen Phytotherapeuten Matthew Wood, der in seinem Buch "The Book of Herbal Wisdom" (3) die Anwendung der Karde bei Borreliose beschreibt. Genauso wie der Japanische Staudenknöterich kann sich auch die Karde großflächig ausbreiten und steht uns deutlich sichtbar zur Verfügung.

Für den amerikanischen Phytotherapeuten Stephen Harrod Buhner gehört der Japanische Staudenknöterich zu den wichtigsten Heilmitteln bei Borreliose. Verwendet werden sowohl beim Staudenknöterich als auch bei der Karde (Kardenrosette im ersten Wachstumsjahr) die Wurzeln, aus denen man eine Tinktur (alkoholische Auszug) oder ein Wurzelpulver herstellt. Die Wurzeln beider Pflanzen gräbt man im Spätherbst, Winter oder Frühling, im besten Fall an einem Neumondmorgen vor Sonnenaufgang. Steht man der Verwendung von Pflanzen bei Krankheiten wie z.B. der Borreliose, die schulmedizinisch mit Antibiotika und leider immer wieder erfolglos behandelt wird, kritisch gegenüber, ist es trotzdem ein Versuch mit ihnen wert. Sie können uns helfen!

Wir sind ein Teil der Natur und sind tief mit ihr verbunden. Wenn die Natur oder wir aus dem Gleichgewicht geraten sind, wirken Kräfte die es wieder herstellen möchten. Das starke Auftreten von Pflanzen ist ein Teil dieser Kräfte. Neophyten bedrohen uns nicht, sie helfen. Zudem sind sie eine wunderbare Nahrung wie z.B. die Nachtkerze, das indische Springkraut, das Franzosenkraut (Knopfkraut), die stahlenlose Kamille, der Topinambur, der gemeine Bocksdorn (Goji-Beere) das einjährige Berufskraut (Feinstrahl), die kanadische Goldrute, die Erdmandel, der persische Ehrenpreis, die Kartoffelrose und viele mehr, und natürlich auch der Japanische Staudenknöterich. Körper und Geist freuen sich, wenn sie eine lebendige und kraftvolle Nahrung erhalten. Während Wildkräuterwanderungen, Seminaren und der Jahresausbildung Kräuterfrau/Kräutermann der NaturSchule Stephan Engelhardt lässt sich das mit allen Sinnen erfahren: Seminare

Quellennachweise:
(1) Wolf Dieter Storl; Wandernde Pflanzen: Neophyten, die stillen Eroberer - Ethnobotanik, Heilkunde und Anwendungen; AT-Verlag
(2) Wolf Dieter Storl; Borreliose natürlich heilen: Ethnomedizinisches Wissen, ganzheitliche Behandlung und praktische Anwendungen
(3) Matthew Wood; The Book of Herbal Wisdom: Using Plants as Medicines, North Atlantic Books

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Kommentare (3)

  • Claudia Gruner-Koch

    06 März 2020 um 13:35 |
    Was für tolle Informationen :-) Vielen Dank dafür!
    Ich freue mich immer mehr auf den Start der Jahresausbildung im April 2020!
    Claudia

    antworten

  • Jan Schneider

    09 Mai 2018 um 10:56 |
    Interessant das Kolumbus bereits erkannt hat, dass diese exotischen Pflanzen als Arzneimittel verwendet werden können. Ich glaube, wir sollten die Heilkraft der natürlichen Ressourcen nicht unterschätzen! Die Natur hat uns viel zu bieten.

    antworten

  • Manuela Ahnert

    31 Januar 2018 um 05:27 |
    Danke für die vielen Infos
    Ich freue mich schon auf den Seminarbeginn.
    Manuela

    antworten

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